Schön früh erkannte und würdigte der westdeutsche Kunstkritiker Eduard Beaucamp die herausragende Leistung des Malers und Grafikers Werner Tübke (1929-2004) für die deutsche Nachkriegskunst. Im Jahr 2023 schenkte das Ehepaar Barbara und Eduard Beaucamp dem Städel Museum ein eindrucksvolles Konvolut von 46 Zeichnungen und Aquarellen Tübkes, das all seine zentralen Schaffensphasen umspannt. Das Städel Museum zeigt diese besondere Schenkung und spürt darin Tübkes metaphorischer Bildsprache nach, die von Transformationen und Verfremdungen geprägt ist.
Seine Aquarelle und Zeichnungen in Grafit, Feder und Kreide zeugen von großer gestalterischer Freiheit und Eigenständigkeit und sind essenzieller Teil seines künstlerischen Schaffens: In ihnen sammelte er Ideen, stellte formale Überlegungen an und erarbeitete sich die unterschiedlichsten Themen. Tübke, zeitlebens in Leipzig ansässig, war einer der bedeutendsten Maler in der ehemaligen DDR. Er zählt neben Bernhard Heisig und Wolfgang Mattheuer zu den Hauptvertretern der sogenannten ersten Leipziger Schule und nimmt in der deutschen Nachkriegskunst eine singuläre Position ein.
In Malerei, Zeichnung und Druckgrafik schuf Tübke ein ebenso autarkes wie konsequentes, formal und inhaltlich dichtes Gesamtwerk, das sich zwar durch eine realistische Formensprache auszeichnet, dessen Bildaussagen aber häufig in der Schwebe bleiben. Tübke ging es nicht so sehr um eine konkrete Wiedergabe der Wirklichkeit, sondern um „Seinsdeutung“. In seinen vielschichtigen, von einer einfallsreichen, manchmal geradezu überbordenden Fantasie geprägten Kompositionen reflektiert er die Komplexität der Welt mit ihren existenziellen Fragen, Nöten und Konflikten. Dabei beweist er ein feines Gespür für die Verletzlichkeit des Menschen, der als Individuum im Mittelpunkt seiner Kunst steht. Engel, Einhörner und Zauberer, Harlekine, Verhüllte, Verschnürte und immer wieder Gefolterte sowie Maskierte bevölkern Tübkes Werke. In seinem „Welttheater“, wie er es nannte, ist durch die schöpferische Aneignung der älteren Kunstgeschichte die Zeit aufgehoben und alles von Erinnerungen durchdrungen.
Kuratorin
Dr. Regina Freyberger (Leiterin Graphische Sammlung ab 1800, Städel Museum)
Gefördert durch
Heinz und Gisela Friederichs Stiftung
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